Deutschland 2003 – Regie: Leander Haußmann – Buch: Sven Regener – Darsteller: Christian Ulmen, Katja Danowski, Detlev Buck, u.a. // gesehen 18.10 im Yorck
Als ich vor zwei Tagen vor einem Kontoauszugsautomaten am Ku-Damm stand und der Nadeldrucker beinahe orakelhaft vor sich hin drucknadelte, dann die frohe Kunde ausspuckte, dass ich seit über 8 Monaten endlich wieder aus dem Dispo raus bin, ging ich für zwei Stunden in den Geschäften schauen, was ich mir den jetzt von dem Geld so alles leisten könnte, denn ich hatte noch Zeit. Das erste Geschäft, in das ich strudelte, war eins mit Büchern. Dort stand ein großer Tisch, darüber an der Decke hing ein Schild „unsere persönliche Empfehlung“. Auf dem Tisch rote Taschenbücher, massenweise, von dem Buch, das ich vor zwei Jahren als Hardcover zu meinem 29 Geburtstag geschenkt bekommen habe mit dem Spruch, „Du wirst ja nun auch bald 30“. Ich wohne in Kreuzberg und habe „Herr Lehmann“ verschlungen, wie lange kein Buch vorher und natürlich habe ich mich, wie ja irgendwie jeder, in irgendeiner Weise damit identifiziert. Ich finde Flaschenbier auch besser, wollte auch eine schöne Köchin kennenlernen und achtete fortan auf die Elektrolyse.
Und heute also der Film, zusammen mit meinem Herrn Mitbewohner. Man hat sich ja nun schon von einigen was darüber erzählen lassen, von wegen, den Herrn Lehmann hätte man sich anders vorgestellt, die schöne Köchin sei fehlbesetzt und überhaupt. Und ich möchte mich gern einreihen in das Lammentieren: Das Prinzenbad ist im Film überhaupt nicht getroffen, sage ich, aber Herr Ulmen ist klasse. Ich bin ja in der glücklichen Lage, dass ich mir Herrn Lehmann beim Lesen nicht vorstellen musste, denn ich war ja Herr Lehmann. Die schöne Köchin ist gut besetzt, auch wenn meine schöne Köchin im Geiste eher an jene Frau erinnert, mit der ich heute genau 2 Jahre zusammen bin. Und mein Kreuzberg ist sowieso anders.
Der Film hat mir trotzdem gefallen, gerade wegen der Differenz. Das Problem ist ja, wenn man die Stadt, in der man lebt, im Kino oder im TV sieht, wird´s merkwürdig durch die konkrete Bildhaftigkeit. Da bekommt eine Ecke, an der ich mal zusammengeschlagen wurde plötzlich Poesie und Brücken, auf denen man verliebt in den Kanal sinnierte, verbinden feindliche Stadteile. Das, was beim Lesen in meinem Kopf entstand, war viel mehr geprägt durch meine Stadt. Das was da auf der Leinwand passiert ist eine fremde Stadt, weil sie zu der Zeit noch nicht meine Stadt war. So weit, so gut. Wichtiger als der Vergleich von Bildwelten und Figuren ist für mich die Frage, ob der Film trotz allem autark als Film funktioniert. Und ja, er hat seine eigene Atmosphäre, seinen Witz und seine dramatrugische Zugkraft.
Auf der Konferenz für Drehbuch und Stoffentwicklung, für die ich bis vor kurzem gearbeitet habe, hatten wir eine Abendveranstaltung – Das Drehbuch Quartett – auf dem vier Leute aktuelle Drehbücher besprochen haben. „Herr Lehmann“ war auch dabei. Einhellige Meinung war, dass das Drehbuch kein Drehbuch sei, sondern eine aus dem Buch heruntergekürzte Dialogliste. Die sei zwar witzig zu lesen, ließe aber stark die atmosphärische Kraft des Buchs vermissen. Das ließ meine Erwartungen auf den Film sinken. Meine persönliche Überraschung war aber, dass Herr Neumann von der Zitty, den ich bisher eher als grummeligen Menschen kennengelernt hatte, auf dem Podium sich äusserst amüsiert von den Dialogen gab, sich geradezu jungenhaft amüsierte, denn er lebte auch mal in Kreuzberg und erinnerte sich an eigene wirre Dialoge in Kneipen. Das war nun eigentlich auch meine Erwartung an den Film: Die gute Übertragung der Dialoge aus dem Buch auf die Leinwand, eine Art gespielter Witz eben. Und da bin ich ein bischen enttäuscht – Kerle, Kerle, Kerle – das Buch konnte sich besser verfransen in sinnentfremdete Dialogspiralen. Nichts desto trotz: Der Film ist okay, gefreut hat mich der Soundtrack – Bauhaus und The Violent Femmes (lange nicht mehr gehört!) und warscheinlich wird in der Buchhandlung das Ding weiter gut weggehen, sodass auch die Kontoauszüge von anderen Frohes verkünden können.