Über’s Wochenende war ich ein paar Tage in Karlsruhe. Zum einen, um meinen guten Freund zu besuchen, der dort seid einigen Monaten arbeitet. Zum anderen läuft da gerade die Ausstellung fast forward – Media Art | Sammlung Goetz am ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Februar 2004 und zeiget eine kleine Auswahl der Sammlung von Ingvild Goetz, die in den 60ern anfing, u.a. Videokunst zu sammeln. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt überwiegend in Werken aus den 90ern bis heute.
Fünfeinhalb Stunden Zug. Da muss doch ein Gespräch aufkommen. Aber nichts, stattdessen ZEIT gelesen und Mitreisende beim Lesen beobachtet. Die waren aber langweilig und sind schon in Braunschweig & Hannover ausgestiegen. Ein Grieche wollte zwischendurch wissen, wann der Zug in Frankfurt ankommt. Wusste ich nicht, konnte auch kein Griechisch. Erster Eindruck von Karlsruhe: „groß aber ruhig“. Abends gab?s dann für 9,- Euro Tannenzäpfle bei J. im Zimmer. Das Mitbringsel muss dann beim nächsten mal mit. Freitag, nachdem J. schon los ist, erstmal kurz einen Teil der Karlsruher Fußgängerzone angehen, einen Badsichen Zimtfladen zum Frühstück essen, und mich dann mit ihm mittags zum Essen in der Kantine der LBS getroffen. Was mir alles schon mal einen recht guten Einstieg in die Sache da gegeben hat. Ruhige Stadt, mit Geld und Beamten.
Der halbe Tag war inzwsichen schon rum, und ich wollte endlich mit hohen Erwartungen in die Ausstellung. Komische Türsteherin, dann ein seichter Lärm von den Videoinstallationen in den 2 Hallen der alten Munitionsfabrik (über deren Rolle im 2. Weltkrieg auch mal eine Ausstellung gemacht werden könnte…).
Die grundsätzliche Infragestellung unserer sozialen Realität bis hin zum gezielten Tabubruch und die formale Untersuchung unserer Wahrnehmungswelt, das Ästhetische – das sind die beiden Bereiche der Kunst, die mich persönlich am meisten interessieren und meine Sammlung im Wesentlichen beherrschen (Ingville Goetz)
So steht es gleich am Eingang der Ausstellung rechts auf einer Wand. Als erstes hängen mir kleine LCD-Bildschirme vorm Gesicht – mir erstmal zu hektsich, mich drauf einzulassen, lieber in einer Ecke verschwinden, weg aus der Sicht der Einlasserin rein in einen der nächstbesten Kasten. Da läuft The Buzzclub Liverpool (1996/1997) von Rineke Dijkstra. Was schon mal ein ganz guter Anfang ist: auf 2 Videoscreens tanzen authentische Leute vor weisser Wand zu Techno. Die Bilder wechseln sich ab, die langen Einstellungen zwingen zum Beobachten der Körperbewegungen.
Ich habe gerade nicht so die Lust, jetzt hier alles aufzuschreiben, was ich gesehen und mir dabei gedacht habe. Hier geht?s zu einer Liste aller Werke der Ausstellung mit weiterführenden Links zu Beschreibungen der Werke. Hier nur mal kurz ein paar der Sachen, an die ich mich noch erinnern kann:
Eija-Liisa Ahtila: Tuuli – The Wind, 2001 3 Screens in einem Raum, fiktional die Geschichte einer Frau, die wohl ein bischen verrückt ist. Eigentlich ein Film, der kontinuierlich auf drei Leinwänden läuft, mit seinem eigenen Blick setzt man die Schnitte.
Doug Aitken: Eraser, 1998 – 3 x 2 Screens, Drei mal ein anderer Abschnitt auf einer Insel mit aktivem Vulkan. Die drei Abschnitte ergeht man sich, durch den Gang in die Installation und kommt damit bildlich dem Vulkan immer näher. Habe ich lange drin verbracht, hat mir gut gefallen.
Chantal Akerman: Selfportrait / Autobiography: a work in progress, 1998 – hatte ich nicht die Ruhe mir anzusehen. Das war das mit den vielen Fernsehern.
Kutlug Ataman: Women Who Wear Wigs, 1999 dokumentarisch auf 4 Screens Interviews mit Frauen, habe ich eine Weile angesehen, war mir aber ästhetisch langweilig.
Andrea Bowers: Democracy’s Body – Dance Dance Revolution, 2001 – Die 4 LCD-Schirme am Eingang mit jugendlichen Japanern, die vor Computerspielen tanzen.
David Claerbout: Ruurlo, Bocurloscheweg, 1910, 1997 Postkartenmotiv mit Windmühle und Baum am Anfang.
Tacita Dean: Sound Mirrors, 1999 dokumentarisch, 1 Screen. Aufnahmen von Abhörstationen, die Flugzeuge im Krieg aufspühren sollten (bevor es Radar gab). Könnte auch so im Kino laufen als Doku.
Rineke Dijkstra: The Buzzclub Liverpool, UK / Mysteryworld, Zaandam, NL, 1996/1997
– Die Tanzenden vor weissem Hintergrund.
Stan Douglas: Journey Into Fear, 2001 fiktional, ca. 15 Minuten Video, aber mit hundeten Minuten Ton. Die Videobilder laufen im Loop, während auf der Tonebene Differenzen im Dialog aufzeigen. Versatzstücke im Text, die Handlung wird in die Länge gezogen. Differenz in der Wiederholung, aber auf dem Sofa vorm Bildschirm wars ganz schön kalt.
Tracey Emin: The Interview, 1999 eine Frau mit sich selbst im Interview.
Peter Fischli / David Weiss: Der Geringste Widerstand, 1981 / Ohne Titel (Fragenprojektionen), 1981-2002 – Der Rechte Weg, 1983 – Der Lauf der Dinge, 1986/1987 – Son et Lumière (Le rayon vert), 1990 – Projektion 1 (H) (flowers), 1998 – Büsi, 2000
Rodney Graham: Edge of a Wood, 1999 Ein Stück Wald, erst im Dunkeln, dann vom Scheinwerfer eines Hubschraubers beleuchtet
Teresa Hubbard / Alexander Birchler: Gregor’s Room I, 1998/1999
– Gregor’s Room II, 1998/1999 – 1 Screen: ein Mann räumt Sachen in Kartons, die Kamera fährt langsam vorbei, die Türrahmen werden zu langsamen Blenden, die die Räume unterteilen.
Pierre Huyghe: L’Ellipse, 1998 fiktionales im Loop mit Bruno Ganz.
Rachel Khedoori: Untitled (Pink Room), 2000 Rosa Raum, der sich durch Spiegel auf dem Boden wiederholt.
Annika Larsson: Dog, 2001 Mann mit Hund, junger Mann ohne Hund, Machtverhältnisse.
Mark Leckey: Fiorucci Made Me Hardcore, 1999 – We are (untitled), 2001 Zwei so Videos mit Tanzthema / LondonAtella, 2002 Zusammenschnitt aus Filmzitaten, digirtal bearbeitet wird neue Geschichte draus mit Koyaniskatsi-Musik.
Steve McQueen: Caribs‘ Leap / Western Deep, 2001 ich glaube das war der klasse Film im Bergwerk. Immersiver Film – Starke Tonspur.
Bjørn Melhus: Silvercity I + II, 1999 Astronauten und Cowboys reden das selbe.
Aernout Mik: Middlemen, 2001 – Makler nach dem Börsencrash, auf den ersten Blick immer das selbe, aber beim genauen Hinsehen ergeben sich Differenzen. Schauspieler eher Amateure, was ein bischen stört.
Sarah Morris: Federal Triangle (Capital), Midtown, 1998 Aufnahmen urbaner Zeugnisse, eine Art visuelle Essenz der Architektur.
Saskia Olde Wolbers: Placebo, 2002 Eine Frau erzählt eine merkwürdige Liebesgeschichte, wie aus einem Arztroman. Bilder zeigen skuriele Aufnahmen von Gittermodellen, von denen Lack abtropft. Durch diese Bebilderung entstehen Traumräume und surreale Bildwelten. Hat mir sehr gut gefallen.
Tony Oursler: Broken, 1994 – Criminal Eye, 1995 – We Have No Free Will, 1995 – Sketchy Blue, 1996 – Die Installationen mit Puppen, deren Gesichter vom Videobeam leben.
Paul Pfeiffer: The Long Count (I Shook Up the World), 2000 – The Long Count (Rumble in the Jungle), 2001 Zwei Boxringe heute und früher / Dutch Interior, 2001 Die Treppe mit dem Guckloch – Faszination des Sehens, wo man nichst sieht.
Pipilotti Rist: I’m not the girl who misses much, 1986 – (Entlastungen) Pipilottis Fehler Skizzen, 1988 – Pickelporno, 1992 – I’m a Victim of this Song, 1995 Lustige Sachen.
Santiago Sierra: Línea de 250cm tatuada sobre seis personas remuneradas. 250 cm line tattoed on six paid people. Linie von 250 cm Länge auf sechs bezahlte Personen tätowiert. Espacio Aglutinador. La Habana Diciembre de 1999, 1999 fand ich ein bischen belanglos als Videokunst. Das Video dokumentiert die Performance.
Sam Taylor-Wood: Atlantic, 1997 3 Screens: in der Mitte der Speisesaal eines Hotels, links das Gesicht der Frau, Rechts die Hände des Mannes.
Still Life, 2001 – In Zeitlupe schimmelt ein Teller Obst vor sich hin bis zum Verfall.
Diana Thater: The best animals are the flat animals, version #1, 1998 – The best space is the deep space, 1998 – Hab ich nicht in Ruhe angesehen, das war das mit dem Pferd und Zebra
Wolfgang Tillmans – Lights (Body), 2000-2002 – Auf einem Screen Studie von Disko-Scheinwerfern.
T.J. Wilcox: The Death and Burial of the First Emperor of China, 1997 – Das Begräbnis der Marlene Dietrich / The Funeral of Marlene Dietrich, 1999 – Zwei 16mm Filme, die ich nicht verstanden habe.
Christopher Williams: Supplement ’96, 1996 – Die Frau mit dem Kopfhörer. Man hört nicht, was sie hört. Ich dachte zuerst, sie sieht einen Film, im Katalog steht, es redet einer mit ihr. Im Gesicht der Frau kleine, spannende Gefühlsregungen.
Alles hoch interessant, nur viel zu viel für einen Tag. Mit wirrem Kopf kam ich raus mit dem Gefühl, 4 Stunden hochtheoretische Sachen gelesen zu haben. Und das ist vielleicht auch der Deal: Fernsehen kuckst du, Videokunst musst du lesen. Insgsamt sind viele der Sachen recht nahe am Kino. Entweder werden stilistische Formen verwendet, oder die Sachen sind stark fiktional und dokumentarisch. Was mir oft nicht weit genug ging, so von wegen einer implizieten und selbstreferenziellen Ausseinandersetzung des Mediums mit sich selber. Aber das war wohl auch ein bischen der Sinn der Werke in der Ausstellung. Stärke das Abgebildete als das Abbildende im Fokus. Abends gab?s dann die Ausstellungseröffnung und anschließende Preisverleihung vom Medienkunstpreis, die ich persönlich nicht so feierlich fand. Hätte ich ein bischen mehr Glanz erwartet, kam ein bischen amateurhaft rüber, insgesamt. Aber egal.
Memo für den Videorekorder:
Freitag, 21.11., 2.00h WDR: Die 50 besten Einreichungen (Folge 1-3) (180min)
Samstag, 22.11., 1.00h WDR: Die 50 besten (Folge 4-7) (245 min)
Dann sind wir in Erdbeermund gegangen zu Mense Reents. Der Club scheint keine Homepage zu haben. Wobei „Club“ ist vielleicht ein bischen zu viel, aber netter kleiner Veranstaltungsort. Dafür hat aber der Künstler eine Page. Ja. Und das war dann auch ganz gut eine Erfahrung. Mense war super, nur das Publikum etwas merkwürdig. Die sind überhaupt nicht bis kaum abgegangen. Woran lag?s? Gab?s da was zum Nicht-Kapieren? Kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine, kann ja sein, dass Karlsruhe hemmt, aber was soll denn das Gerede von Mannheim, oder gar Berlin, wenn man schon vor der eigenen Tür nicht Spass hat? J. meinte, „stell dir die Musik mal in der Maria vor, was da dann los ist…“ Naja, es muss ja nicht jeder wollen. Aber ein bischen mehr Action von den Leuten wär doch nicht zuviel gewesen. Und als dann noch der DJ-Tisch vom Podest kippte war?s für Mense wohl gelaufen, was man verstehen kann, aber schade war. Danach sind wir noch geblieben, waren noch Kollegen von J. aus dem ZKM da. Um 5h wurde man dann rausgeschickt (Sperrstunde auch so eine Sache, die die Welt nicht hübscher macht). War aber auch okay, dann irgendwie. Und am nächsten morgen der erste Gedanke: Tannenzäpfle macht Kopfschmerzen.
Frühstück, Stadt gezeigt bekommen, das Verfassungsgericht sieht von weitem aus, wie ein Parkhaus. Die alternative Kinolandschaft Karlsruhes („Samenraub ist nicht ihr einziges Laster“ und so). Abends gab?s Nudeln, dann noch ins Pendel, wo die Musik gut war, wir aber zu müde. Am Sonntag habe ich mir dann noch – nach J’s Deleuze-Führung – die ständige Medienkunstausstellung im ZKM angesehen. Das waren dann mehr so interaktive Installationen, wo auch Kinder ihren Spass haben. Ganz erstaunlich, deren Herangehensweise ist da eher wie bei Computerspielen. Die Eltern standen eher unsicher daneben. Ein Mädchen meinte: „Papi, du musst was machen.“ Und hat damit für mich den Sinn der Werke auf den Punkt gebracht. Erst durch die Interaktion mit den Installationen erschliesst sich deren Sinn. Danach noch einmal in die „fast forward“ gegangen, ein paar Sachen nochmal angesehen.
Zug zurück bis in die Nacht hinein. Gespräch mit türkischem Wehrdienstleisternden (Mannheim-Kassel) und VW-Ausbilder (Kassel-Wolfsburg). Das erste Gespräch war nett, aber nicht so erleuchtend, der VW-Typ war ganz interessiert und wir sind von den Dingen an sich auf eine neue Marketing-Idee für VW gekommen, die er seinem Chef bei Gelegenheit als Verbesserungsvorschlag einbringen kann. Hab ich ihm geschenkt. Nachst dann endlich wieder die Liebste. Montag lange geschlafen und den Bett-Fernseher kaputt gesehen (Farbe ist jetzt verstört).