Bei vielen wird dieser Tag schon lange her sein, einige wissen vielleicht schon nicht mehr, ob sie sich eigentlich zuerst die Original Rolex-Imitation aus China kommen haben lassen oder vielleicht war es doch ein Posthorn aus des Kaisers Zeiten? Damals, als die Post noch Post zustellte.
Mein erster Einkauf bei e-bay ist jetzt einen Monat her. Ja, ist so. Ungelogen. Mir war das vorher immer ein bisschen suspekt. Alleine dieses pragmatische Nicht-Layout, dieses SAP für Jedermann, würde schon genug Stoff hergeben, für einen langen Abend Kneipenpessimismus. Aber was mich eigentlich bisher davon abgehalten hatte, bei e-bay mein Shoppingglück zu suchen, waren die Kommentare zu Käufern und Verkäufern. Die immer wiederkehrende Variation des Themas ****** TOP EBAYER *******; netter Kontakt; alles bestens; gerne wieder! – Kann man in 80 Zeichen wirklich nicht mehr sagen? Gibt es denn kein Gespühr mehr für die Tradition der sms-poesie? Vielleicht gehöre ich auch einfach zu der alten Schule, die einen Deal gerne noch mit einem satten Händedruck besiegeln. Das Objekt der Begierde klar vorm geistigen Auge über einen Flohmarkt schleichen, sich immer wieder einem Stand nähern, über etwas anderes mit dem Verkäufer ins Gespräch kommen, sich verabschieden. Dann, nachdem man stundenlang über den Flohmarkt gestreunt ist, wiederkommen, nochmal eine halbe Stunde rumschauen. Scheinheilig nach dem Preis fragen, es zu teuer finden, handeln, wieder gehen. Eine Bratwurst essen, wiederkommen, Preis dann doch drücken können und nach einem feinen Tag hat man das Gefühl das neue Teil auch wirklich verdient zu haben. Alternativ kann man übrigens auch wochenlang durch Einkaufstraßen ziehen und Preise vergleichen. Ich weiß gar nicht, was mich eigentlich geritten hat, es nun doch zu probieren. Vielleicht hat mich doch der amerikanische Gast-Filmwissenschaftler beeindruckt, der begeistert vom Videobeam im Hörsaal mal eine Nacht damit verbrachte auf der großen Leinwand bei acht geöffneten Fenstern gleichzeitig zu e-bayen. „The net?s your friend“, behauptete er immer. „E-bay ist Mist“, habe ich stattdessen rumgetönt, ohne zu wissen, wovon ich eigentlich rede. Aber meist wurde mir geglaubt, schließlich führe ich ein Weblog und weiss auch am Mac wo das @-Zeichen sich versteckt. In manchen Kreisen zeichnet einen das schon als IT-Experten aus.
Mein erster Einkauf bei e-bay ist jetzt einen Monat her. Vor ein paar Tagen ist das Paket gekommen. Als hätte ich es gewusst, dass das ja nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Zuerst war ja alles super, Top-ebayer, gerne wieder. Der Verkäufer schien seriös und tatsächlich einen Second-Hand-Laden für Fotoequippment zu haben. Innerhalb von wenigen Stunden hatte ich ein ordentliches Objektiv gekauft, was ich billiger in keinem Laden hier hätte bekommen können. Doch als ich nach der Überweisung nach einigen Tagen feststellte, dass jene Käufer, die am selben Tag beim Verkäufer eingekauft hatten, schon ihre positiven Bewertungen abgegeben hatten, ich aber mein Paket noch nicht hatte, wurd ich nervös. Auf meine e-mail hat er einen Suchauftrag bei der Post gestartet (zum Glück war’s ein versichertes Packet). Tatsächlich – die Post meinte, es sei auf dem Weg verloren gegangen, mein Superschnäppchenobjektiv, mein erster Einkauf bei e-bay. Wir sollen mal 10 Tage warten, dann wird es sich vielleicht finden. Nach 10 Tagen hab ich noch 4 draufgeschlagen, um das Dutzend voll zu machen, bevor ich wieder den Verkäufer anmailte. Er habe noch nichts gehört und es täte ihm leid.
Inzwischen hatte ich schon selber einen guten Teil meines Zeugs bei e-bay verkauft und war stolzer Besitzer von 30 Bierfilzen mit diesem Motiv, welche ich Glücklicher für 1,- Euro durch eine Kinoschließung in Bayern ersteigern konnte. Dann hing tatsächlich doch mal eine Benachrichtigung über eine Ersatzzustellung in der Nachbarschaft an der Haustür. Schon eine Frechheit, das einfach unten an der Straße an die Tür zu hängen. Ist ja nicht so, als würd ich hier in Garmisch-Patenkirchen wohnen. In Kreuzberg kommen schon mal Dinge weg. Aber gut. Mut zur Lücke, der Paketbote. Ersatzzustellung in der Nachbarschaft in der „Pension“ nebenan also. Ich klingel, keiner macht auf, ich grummel was von „Scheisspost“ und probiere es am nächsten morgen.
Die Pension im Nebenhaus ist so eine Sache, der ich bis dahin noch nicht richtig auf den Grund gehen konnte. In den zwei Ladenwohnungen zur Straße stehen mehrere Betten und immer wechselndes, männliches Klientel trocknet Socken und Zeug am Fenster. Meist läuft ein Fernseher. Bisher dachte ich, dass sei so eine Art Projekt für soziales Wohnen für Ex-Knackies, oder so. Als ich nun klingelte zeigte sich, dass Donnerstags wohl Putztag ist. Die freundlichen Türkinnen wussten nichts von einem Paket, aber ich könne die Büchersendung nehmen, die noch nicht abgeholt worden sei. Ich wurd etwas unfreundlich. Ich solle wiederkommen, wenn der Chef da ist. Als ich wiederkam, machte keiner auf und ich grummelte was von „verdammte Scheisspost“. Am nächsten morgen öffneten mir dann die Bewohner. Sie sahen übernächtigt aus und wussten nichts von meinem Paket, aber boten mir die Büchersendung an. Ich blieb diesmal freundlich und hinterließ meine Handynummer, falls sich noch was finden würde. Dass sich wirklich noch was finden würde, glaubte ich schon nicht mehr. Ganz böse Vermutungen hatte ich. Vermutungen, für die ich mich inzwischen schäme, denn als ich vor dem Kinofilm am Abend am Pissoir stand klingelte das Telefon und der Chef war dran. Er entschuldigte sich, einer der Bewohner habe ihm gerade das Paket gegeben zusammen mit meiner Nummer, könne aber kein Deutsch, wann ich denn vorbeikommen könnte. Auf die Kinowerbung konnte ich mich vor Vorfreude nicht konzentrieren. Am nächsten morgen klingel ich den Chef aus dem Bett. Es war Samstag, er noch im Schafanzug und endlich halte ich mein Paket in der Hand. Alles war bestens, Top-ebayer, gerne wieder!