Ich habe den Abend wegen eines Content-Brainstormings für das neue Geheimprojekt der hauptauftraggebenden Agentur im Outdoorbereich einer Cafékneipe am Senefelderplatz verbracht, mit dem Blick auf Wohnhausnummer 2. Dort saß auf der Haustürtreppe im Sonnenuntergang ein junger Student mit mehreren Büchern – Fachliteratur: Einführung in Literaturwissenschaft. Ich lächelte ihn an, weniger um Kontakt mit ihm aufzunehmen, als in mich selbst reflektierend, dass aus eigener Erfahrung diese Form der Lektüre meist was gebracht hat, wenn auch nicht fürs Fach selber, so doch für Weltsichtbildung und Randgruppenorientierung. Denn schon bald führte sein erstes Paulaner die Aufmerksamkeit weg von den Büchern hin zu unserem Geheimprojekt. Dann kam eine Nachbarin nach Hause, die sich zu ihm setzte, dann eine weitere Nachbarin und zu dritt saßen sie bis kurz vor Mitternacht auf der Haustreppe und begrüßten alle anderen nach Hause kommenden Nachbarn und Nachbarinnen, die sich mehr oder weniger lange auf einen kleinen Plausch einließen.
Dem ganzen haftete diese verflixte Selbstinszenierung des Neuberliners an, wie „crazy“ man sich die urbane Öffentlichkeit einverleibt.
Und ich musste an diese amerikanischen Wohnhaustreppen aus der Sesamstraße denken – respektive Harlem, N.Y. – wie sie schon in meiner frühkindlichen Bildung einen Mythos des Urbanen einpflanzten, den – offensichtlich – nicht nur ich immer noch einzulösen erhoffe. Die Haustreppe als Membran zwischen Privatheit und Nachbarschaft im öffentlichen Raum, ist es, was den Prenzlauer Berg zusammenkittet. Und wenn es nicht diese Bauart der Haustreppe ist, wie sie mir auch neulich im Hamburger Schanzenviertel aufgefallen ist, dann ist es an sich die Cafékultur als Ersatz für den nachbarschaftlichen Tratsch beim Dorfschlachter.
Es ist das typische Berliner Dilemma: Sehnsüchte nach nachbarschaftlicher Nähe, mit gleichzeitigem Wunsch nach Vermeidung von zu viel Sozialkontrolle.
Apropos Nachbarn: Heute kam wegen des Wespennests der Kammerjäger in die Wohnung meines Ex-Mitbewohners, der z.Zt. im Urlaub ist, weshalb ich dafür verantwortlich war. Der Nachbar hat offensichtlich eine starke Wespenphobie und macht deswegen seit 5 Tagen alle Kommunikationswege zwischen Kreuzberg, Teneriffa und Schöneberg heiß. Nun herrscht giftgasgeschwängerte Ruhe.