Hallo, es ist Himmelfahrt, Herrentag, Vatertag, Familientag. Durch einen Tweet von misscaro bin ich heute früh noch im Bett auf das englischsprachige Weblog glow in the woods aufmerksam geworden, dass von und für Eltern geschrieben ist, die ihre Kinder verloren haben. Natürlich nicht verwunderlich, dass zu so einem Thema man nur ehrfürchtig mitlesen und still Anteil nehmen kann. Selber mag ich mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn …
Vatersein. Seit etwas mehr als einem Jahr ist das bei mir tägliches Rollenfindungsthema in Heavy-Rotation, dass schnell von dem One-Hit-Wonder „Vaterwerden“ abgelöst wurde. Man muss es niemanden erklären, jeder weiß es: ein Kind zu bekommen ist ein einschneidendes Erlebnis im Leben, dass man erst vollends emphatisch nachvollziehen kann, wenn es schon zu spät ist. Plötzlich ist man mitten drin und konnte sich doch nicht angemessen darauf vorbereiten. Das Thema der neuen Väter kursiert ja nun schon seit einiger Zeit, nur ich hab mich natürlich erst jetzt damit auseinandergesetzt, weil es mich vorher einfach nicht anging. Trotzdem habe ich noch immer kein Account in der Community von ichbinpapa.de.
Dass sich in den letzten Jahren neue Vaterrollen heraus kristallisiert haben, ist nichts Neues. Eine Vielzahl an Vaterbüchern, die keine Spurensuche nach dem eigenen Vater sind, sondern Kolumnen, Ratgeber und Erfahrungsberichte von Vätern für Väter, zeugen auf dem Buchmarkt von dieser Welle der familiär-sorgenden Väter. Das Phänomen dieser Neue-Vaterrolle-Bücher hatte bereits im November 2001 Wiglaf Droste in seiner Glosse über die Schreibtischväter aufgedeckt. Und in gewisser Weise stimmt es ja auch, was Droste beklagt: Vieles von der Väterliteratur ist ziemlich selbstreferenzieller Quark. Oft genug stand ich in Buchhandlungen blätternd vor dem Elternratgeber-Regal und habe doch nie ein Väterbuch gekauft.
Ich wage die steile These zu formulieren: Die meisten Väterbücher werden in Gegenden geschrieben, die entweder der Prenzlauer Berg sind, oder sich ähnlich anfühlen. Dort eben, wo die heutigen, medienschaffenden Väter und Autoren so zu Hause sind. Doch jeder, der irgendwas mit Medien macht und sich mit Meinungsbildung auskennt, weiß: Was mediales Thema ist, muss nicht gleichzeitig gesellschaftliche Relevanz haben. Der Prenzlauer Berg ist nicht Abbild der Bundesrepublik, auch wenn dort am Prenzlauer Berg sich für manche Mitglieder der jüngeren Medienelite der Alltag abspielt. Wo ich wohne, hier in Schöneberg, wohnt beispielsweise eher die ältere Medienelite und man kann von einer lebhaften Schwulenkultur sprechen. Daher kloppen wir frischen Eltern uns hier auch nicht alle wie blöde um die begehrtesten Kita-Plätze.
Ich bin von jeher kein Freund von starren, exklusiven Rollenidentifkationen. Jedenfalls nicht auf jene kataloghafte Art, wie man sie in handelsüblichen Väterbüchern vorfindet. Und ich suche gedanklich immer dann das Weite, wenn Leute sich zu sehr mit einer Rolle indentifizieren. Genau, wie die perfekte „Supermami“ auf die Nerven geht, gehen Vaterrollen-Väter auf die Nerven. Und dabei bin ich natürlich selber einer, halbtags und an den meisten Feiertagen. Doch es ist alles natürlich nicht so leicht. Viele frische Väter, die ich auf dem Spielplatz beobachte, hadern sicher genauso wie ich mit der Vaterrolle. Man ist tagsüber mit einem Kind auf dem Spielplatz Vater alleine unter Müttern (und ich rede nicht von jenen Anzugträgern mit Blackberry, die dann irgendwann gegen 16:30 Uhr mit ihren Kindern auf dem Spielplatz tummeln). Aus den lautstarken Bekundungen der deutschen Hartz IV-Muttis auf unserem Spielplatz an der Ecke, lässt sich schließen, dass in der Gesellschaft immer noch jenes Bild vorherrscht, jeder Kerl, der sich einfühlsam und ausgiebig um sein Kind kümmert, sei eine Sissy. Zum Glück war ich schon immer eine Sissy, man kommt also klar damit.
Harald Martenstein hat sich im „Kultur SPIEGEL“ (im Oktober 2006) mal mit dem neuen „Vaterland“ beschäftigt und geht auf heutige Vatertypen ein, die der französische Psychologe Jean Le Camus in seinem Buch „Vater sein heute“ beschreibt:
„Der „Fürsorgliche Vater“ hat sich schon vor Jahren in Filmen wie „Kramer gegen Kramer“ oder „Drei Männer und ein Baby“ angekündigt. Er ist ein Mann, der Breichen kocht, aufs Töpfchen setzt und in den Schlaf wiegt. Allerdings scheinen die Kinder trotz allen männlichen Breichenkochens und trotz des Emanzipationsdiskurses hartnäckig auf dem Unterschied zwischen Männern und Frauen zu bestehen. Le Camus zitiert Untersuchungen, nach denen sich Kinder auch bei gleichgewichtiger Rollenverteilung im Falle eines Wehwehchens lieber von der Mutter trösten lassen, während sie den Vater als Spielgefährten mindestens genauso attraktiv finden. Die Mutter scheint in der Entwicklung für „Bindung“ zuständig zu sein, der Vater für „Erkundung“. Und Väter, auch extrem fürsorgliche, bleiben Abenteurer und Raubeine, sie loben seltener und ermutigen häufiger als Mütter.“
Dies habe die Wissenschaft herausgefunden. Also sind doch die Kinder Schuld an meinen Rollenbildsorgen. Die Kinder werden von der Natur (oh je, die bösen Gene!) gezwungen, in Rollenklischees zu fühlen und zu handeln. Leider ist auch das mal wieder alles nicht so leicht, wie die französischen Theoretiker sich das mit ihrer traditionell hergebrachten Klassengesellschaft immer wieder so vorstellen wollen. Aber ich kann natürlich auch nicht das Gegenteil beweisen (alles ist kulturgesellschaftlich determiniert) und wahrscheinlich ist es die Mischung aus Natur und Kultur.
Wie finde ich mich aber nun zurecht in meiner eigenen Vaterrolle mit all dem Diskurs-Ballast, in einer monogamen, heterosexuallen Beziehung und mit lebhaftem Interesse (und hin und wieder Genervtheit) am Kind? Lesen hilft, wie man sich denken mag, nicht viel. Wenn ich aber nur aus dem Bauch heraus handele, entdecke ich in mir oft meinen Vater und dessen Vater wieder. Nicht alles war schlimm und falsch. Zuviel Konzept in der Erziehung verblendet, aber auch bloß nicht die Fehler der Vorgängergenerationen wiederholen. Und das Dilemma reicht ja noch viel weiter, denn nicht nur die Väter, nein überhaupt die Männerrollen sind am Wanken, wie es ganz treffend im neuen Pirsch-Blog zusammengefasst wird: Von Sissy zu Siegfried – Was Männer wirklich lernen müssen.
Optimistisch gesehen muss ich mir also, wie ich aus obigem Pirsch-Artikel lerne, meine Rollenkonflikte als flexible Rollenmodelle zwischen Macho und Softie verstehen, die ich situativ kombinieren darf. Ich muss nicht mehr „one size fits all“-Klischees entsprechen, sondern darf Rollen switchen. Nun gut, das kann ich. Kann mich nicht erinnern, je etwas anderes gemacht zu haben. Ist nur die Frage, wann das „Alles-ist-erlaubt“-Modell so in der Gesellschaft angekommen ist, dass ich mich um die Akzeptanz meiner selbst gebastelten Vaterrolle nicht mehr scheren muss.