Uff. Alleine die Titelfindung für einen Blogartikel darüber ist schon derart mühsam, dass es einem Zahnschmerzen bereitet. Jedoch die Sache will mir nicht so recht aus dem Sinn. Deswegen bringe ich ein paar Gedanken zusammen, die mir gestern und heute mit dem Kind auf dem Spielplatz so durch den Kopf gegangen sind.
Nur kurz einführend für meine Eltern und jene, die es immer noch nicht mitbekommen habe: Es ist Wahlkampf in Deutschland. Familienministerin Ursula von der Leyen hat offenbar einiges an Arbeit in ihrem Ministerium aufzuholen und haut im Schnellschussverfahren eine spinnerte populistische Idee nach der anderen raus (Die Pannen der Frau von der Leyen). Eine dieser Pannen ist ihr Vorstoß mit einem Gesetzentwurf, der das Sperren von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten vorsieht. Klare Sache: gegen Kinderpornographie vorzugehen ist sehr wichtig, dagegen kann natürlich keiner etwas haben. Superthema also auch für den Wahlkampf der Frau von der Leyen. Doch der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen [PDF], der durch die Familienministerin veranlasst und von CDU/CSU sowie der SPD vorgelegt wurde, ist handwerklich fehlerhaft, gefüllt mit mehrfachen verfassungsrechtlichen Problemen und sieht praktisch eine polizeistaatliche Kontrolle des Internets vor, die einer Zensur gleich käme. Mit dem Vorwand, es gehe gegen Kinderpornographie vor, würde das Gesetz in vorliegender Form einen Mechanismus schaffen für weitreichende, staatliche Kontrolle vom Internet. Vor Wochen hatte ein Artikel in der c’t das Dilemma recht deutlich zusammengefasst. Leute, die sich bisschen besser als ich mit dem Internet auskennen, haben schnell darauf hingewiesen, dass das Gesetz ziemlicher Mist ist, gefährlich und reine Symbolpolitik, die nichts bringt und Augenwischerei sei. Schlimmer noch, statt eines bürokratischen Schildbürgerstreichs, geht es um ziemlich wirksame Sperrmethoden. Auch der NDR hatte dazu einen Fernsehbeitrag in ZAPP (youtube direktlink).
Zum Glück gibt es eine Petition gegen den Gesetzentwurf, die innerhalb von vier Tagen eine Rekordzahl an Bürgern unterzeichnet haben (in diesem Moment sind es 101.286 Personen), womit schließlich eine recht breite Presseresonanz erfolgte und schließlich auch im SPIEGELlonline ein Interview mit der Familienministerin über ihren Zensurvorschlag, das Markus auf netzpolitik.org kurz analysiert hat.
Gestern Vorgestern nun war die öffentliche Anhörungen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zum Gesetzentwurf. Mit dem offiziellen Ergebnis auf der Internetseite des Bundestages: Kinderpornografie-Sperren im Internet umstritten. Die Sache würde live vom Bundestag im Internet übertragen, die Server waren überlastet, BundestagTV hatte – so hörte man – noch nie so viele Zuschauer. Die Anhörung wird sicher bald im Archiv der Anhörungen des Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu finden sein.
Womit wir nun da sind, wo wir heute sind. Ein verflixtes Spiel, viele wirre Gedanken und wenn mir eines beim Sehen der Übertragung der Anhörung klar geworden ist: keiner weiss nichts. Alle Experten machen den Eindruck, als wenn sie nicht so recht weiter wissen, wie man da jetzt weiter vorgehen soll. Denn zu komplex ist die Sache – rechtsstaatlich wie technisch und nun ja, es ist Wahlkampf. Die Sache hat jetzt so viel Aufsehen erregt, dass sie vom sicher geglaubten Wahlkampfthema zum Wahlkampf-Flopp werden könnte. Die Emotionen sind aus der Debatte raus. Das Schlimmste, was der Familienministerin passieren konnte, ist die nun stattfindende, sachliche Diskussion ihres Gesetzentwurfes, den die Experten des Ausschusses mehrheitlich als zumindest problematisch erachten.
So wird überall berichtet, dass die Anhörung zu Kinderporno-Sperren ein „Strauß verfassungsrechtlicher Probleme“ offenbart hat und heftiger Lobbybetrieb vor der Anhörung zu Web-Sperren zu vermerken war. Im Bundestag diskutierten Experten über Sinn und Unsinn von Netzsperren. Vorbehalte gibt es viele, aber das wichtigste Ergebnis lautet: Die Debatte wird endlich sachlicher und CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen hat gleich mit zwei Gesetzesprojekten Schiffbruch erlitten. Sowohl ihr Vorhaben für mehr Kinderschutz als auch ihr Vorgehen gegen Kinderpornografie im Internet fielen bei Experten-Anhörungen durch. Ein PR-Gau für die Familienministerin.
Ohnmacht ist es, was ich spüre. Und noch mehr Links dazu zu sammeln, hilft auch nicht weiter. Ich habe die Anhörung per Audiostream im Büro verfolgt, während ich für die Firma wieder Millionendeals einfädelte und abgewickelte. Dazu selbstverständlich die Berichterstattung von einigen der Anhörung beiwohnenden Twitterern @mspro, @timpritlove, @zufall und @spreeblick (von denen man sicher jeweils noch einen detaillierten Text über die Anhörung erwarten darf (!)). Abends wurde die Anhörung dann vom BundestagTV nochmal wiederholt, hab ich auch reingeschaut.
[Update: mspro berichtet optimistisch und gibt ein wenig Einblick in das informellenTreffen mit der SPD, dass im Anschluss an die Anhörung stattfand: Politik. Jetzt neu: mit uns!]
Erleichtert bin ich, dass das Thema mit angemessener, sachlicher Komplexität rüber gekommen ist. Und doch würde man sich wünschen, dass einer der Experten einfach mal aufsteht und offen, lautstark sagt, was für ein Quark das alles ist. Wohl genauso wenig kann man jedoch erwarten, dass Blogger in einem Werbespott für einen großen Mobilfunkbetreiber in irgendeiner Form subversiv werden würden. Es ist doch überall das Selbe. In der Politik: viele Worthülsen und ritualisierte Staats-Anbiederung. Ich habe mir nur mal eine der Expertinnen herausgepickt, weil sie aus der mir nahen Fachrichtung kommt und ich hoffte, wir sprächen die selbe wissenschaftliche Sprache: Die Medienwissenschaftlerin Dr. Korinna Kuhnen, mit ihrer Dissertation über Kinderpornographie und Internet. Liest man ihre sechsseitige Stellungnahme [PDF], ist klar: ja, sie befürwortet die Maßnahme, überhaupt gegen Kinderpornographie vorzugehen und ihre Einwände sind auch deutlich, wenn auch abschwächend formuliert. Allerdings ergeben sich bei der momentanen Planung zur konkreten Umsetzung der Zugangserschwerungen mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf aus meiner Sicht durchaus verschiedene Lücken (siehe 3.), die z.T. Fragestellungen hinsichtlich einer technisch wie rechtlich (und rechtsstaatlich) sauberen Umsetzung aufwerfen – und die mutmaßlich auch deshalb eine breite gesellschaftspolitische Diskussion in Gang gebracht haben. Diese Punkte sollten zunächst umfassend und abschließend geklärt werden. Daher halte ich den Entwurf, dessen Grundidee ich unterstütze, in der derzeitigen Form jedoch für nachbesserungswürdig. Schwächer und relativierender hätte ich einen Widerspruch auch nicht formulieren können. Unter Punkt 3. nimmt sie dann Stellung zu den Punkten „Spezialgesetzliche Regelung statt Änderung des Telemediengesetzes“ (wegen des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und in das Fernmeldegeheimnis), „Ausschließen einer Ausweitung auf andere als kinderpornografische Seiten“ (Maßnahme sollte klar und ausschließlich gegen Kinderpornos sein (nur was ist das im Detail?)), „„Löschen vor Sperren“: Strikte Einhaltung der Subsidiarität und Begrenzung der Sperrliste auf Angebote, die auf außereuropäischen Servern lagern“ (Löschen sollte Vorrang haben vor Sperrung), und schlägt schließlich „(Richterliche) Kontrolle der durch das BKA erstellten Sperrliste“ (für die rechtsstaatliche Absicherung) vor. Und ganz zuletzt fordert sie das „Kommunizieren einer realistischeren Erfolgserwartung bzgl. der Maßnahme“ (wie wär’s überhaupt erstmal mit einer realistischen Erfolgserwartung) und „Verstärktes Verfolgen weiterer Ansätze in Strafverfolgung und Prävention“ (und da erst kann sie eigentlich als Psycholgin wirklich Expertise leisten). Das ist alles richtig. Und doch, in der mündlichen Prüfung Anhörung kam sie mir zumindest lediglich als neutrale Befürworterin von Frau von der Leyens Gesetzentwurf rüber. Zu viel Textgeschwurbel. Zuviel Anbiederung. Nicht nur bei ihr, sondern bei vielen Stellungnahmen der Experten. So mein Eindruck. Wohl auch, weil ich diese Form der politischen Sprache nicht gewöhnt bin. Man sollte auch nicht erwarten, dass bei so einer Anhörung irgendetwas Unvorhergesehenes passieren würde. Alle Pressemitteilungen der Fraktionen werden schon Tage vorher vorformuliert, die Formulierungen finden dann repräsentativen Einzug in die Sitzung, gehen dann als sich selbst bestätigende Mitteilung an die Presse. So funktioniert PR, muss man sich nicht drüber wundern. Schön, dass zumindest einige Teile der Presse das Thema jetzt derart auf der Agenda haben, dass die Verlautbarungen nicht mehr nur abformuliert werden.
Eine politische Analyse zur Anhörung gerade eben online gegangen bei netzpolitik.org: Anhörung zu Netz-Sperren im Bundestag: Niemand hat die Absicht, eine Zensur-Infrastruktur zu errichten
Sprache ist so eine Sache. Es ist ein Unterschied, ob man sagt, der Gesetzentwurf sei „eine Verkettung unglücklicher Umstände die zum Tod der deutschen Online-Wirtschaft führt“, oder ob man lautstark ruft, „die Wahrheit über die Zensurpläne des Wirtschaftministeriums“. Jovelstefan und Sven haben im Hamburger zum Mittag Podcast Nr. 53 analysiert, warum der vorliegende Gesetzentwurf den Tod für die Online-Wirtschaft bedeutet. So albern HZM oft ist, hier wird mit ein bisschen Auskennen in technischer Funktionsweise des Netzes und ein wenig psychologischem Einfühlungsvermögen in die Akteure (beim BKA, bei Usern, bei Firmen etc.) aufgezeigt, was für eine negative Lawine für die Internetwirtschaft das alles auslösen könnte. Ist alles recht nachvollziehbar und jenseits von Verschwörungstheorie, kann man sich also mal in Ruhe anhören: HZM #053 – Direktlink zum mp3.
Was mir jedoch Sorgen macht, all die Stunden nach der Anhörung, ist die sogenannte „Internetgemeinde“. Also, dieses wir jetzt. Da gibt es politische Agitatoren, da gibt es Marketing- und PR-Berater, da gibt es Infobroker und Infojunkies, da gibt es Multiplikatoren und Masse. Ist bislang gut gelaufen, der Meinungsfeldzug. Und ein toller Proof of Dings, dass es möglich ist, über das Internet gesellschaftliche Meinung zu vernetzen. Ich würde nur zu gern begrüßen, wir würden es schaffen, nicht immer im eigenen Saft zu schmoren. Und vor allem: etwas mehr Nachdenken, etwas weniger Geschwindigkeit mit dem Meinunghaben.
Denn mal ganz ehrlich. Ich finde, wir klingen alle in unserer Ohnmacht genau so wie damals, als Johnny und Sascha kein iPhone vom Telekom-Laden bekommen haben: wie kleine Jungs, denen ihr Spielzeug verwehrt wird. Ich würde es begrüßen, wenn wir alle, jeder für sich, mal etwas weniger Stammtisch, etwas weniger Schuljungen-Politisierung, etwas weniger Emotionalisierung gegenüber der Sache an den Tag legen könnten. Denn sonst werden wir als Bürger (und Wähler) natürlich nicht ernst genommen.
Damit meine ich konkret:
– wer über #zensursula verärgert ist, sollte nicht im nächsten Atemzug die kollektive oder von oben verordnete Zensur von unliebsamen politischen Parteien auf Twitter oder Facebook fordern.
– mehr Abstraktionsvermögen: nur weil jetzt gerade Dich ein politischer Vorgang das erste mal in deinem Leben so richtig vehement interessiert, heisst das noch lange nicht, dass all das diverse Gesellschaft um dich rum das genau so sieht. Es ist richtig, dass das BundestagsTV mitten in der Anhörung den Stream abschaltet, egal was die Quote sagt. Das hat nichts mit Quote zu tun. Das ist nicht Zensur, wie einige überschwänglich behaupteten. Programm ist Programm und das beruht beim BundestagsTV auf dem Gleichbehandlungsprinzip. Genauso wie die Redner im Bundestag formal gleiche Rededauer haben.
– Willkommen in der Realität: Es ist nicht alles einen Klick entfernt (so schön es wäre). Das Internet, ach was soll’s … Nur weil Du neulich noch Deine Stimme bei der Online-Petition gegen den Gesetzentwurf abgegeben hast, heisst es nicht, dass der Bundestag innerhalb von 2 Werktagen über amazon.de dir dein neues Gesetz ins Haus schickt. Ich spreche damit jene Ungeduld an, die ich bei vielen Onlinern beobachte, das dieser gefährliche Gesetzentwurf endlich kippen möge. Ja, klar. Aber was dann? Ist doch klar: Dann kommt der nächste Regulierungsversuch.
Man muss sowas auch immer in größeren Rahmen denken. Regulierung von Medien war schon immer ein spannendes, gesellschaftliches Kräftemessen. Ich hab mich beispielsweise mal mit der Filmzensur in den USA beschäftigt (das da mit den Sonderzeichen, achachach, ein Datenbankumzug …). Klingt staubtrocken, ist aber eine Hammersache! In der Filmindustrie ist es z.B. so, dass es immer wieder auf der politischen Agenda steht, ob bestimmte Inhalte reguliert werden sollen und in welcher bildlichen Form was dargestellt werden darf. Da hacken sich dann die Lobbyisten die Augen aus. Bislang hat unsere Internetgeneration so etwas noch nicht erlebt (ausser vielleicht im Kulturkampf der 1980er). Wir erleben gerade erst eine der untersten Stufen der Regulierungsbestrebungen eines neuen Mediums, oder einer neuen Kommunikationstechnik, wie es das Internet heute für uns ist. Das wird Zeit unseres Lebens so weitergehen. Daran sollten wir uns gewöhnen und eine reflektierte, wie wache Haltung einnehmen. Keine Schnellschüsse, wie die der Zensursula, sondern stetiger Tropfen.
Es ist schon sehr auffällig, dass das Innenministerium sich derzeit so bedeckt hält. Erstmal müssen die Damen und Herren mit den weichen Ministerfächern ran: „Komm Ursula, das mit den Kinderpornos im Internet, dass überlassen wir dir …“ Der Nächste steht schon vor der Tür: Kulturstaatsminister macht sich für Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen stark. Ich bin gespannt, welche Milchkuh der Landwirtschaftsminister durchs Dorf treiben wird dürfen.
Liebe (meine) Eltern, um es zusammen zu fassen: das was die Regierung derzeit an Maßnahmen der Volksüberwachung plant, ist alles ein bisschen krasser, als die Sache mit der Volksabstimmung in den 1980ern, gegen die ihr so protestiert hattet. Mutter, Deine Karstadt-Kundenkarte weiss heute mehr über dich, als dir damals lieb war. Deswegen möchte ich all jenen empfehlen, die es noch nicht getan haben, diese Online-Petition gegen die Internetzensur zu unterzeichnen, denn Politik besteht aus Zahlen und aus Quote. Und in den nächsten 150 Jahren werden weitere Petionen gegen ähnliche Gesetzentwürfe folgen, bitte auch unterzeichnen. Es geht in erster Linie nicht um Kinderpornographie. Es geht um die Einführung von Mechanismen jenseits des Rechtsstaates, mit denen pauschal das Abrufen von unliebsamen Inhalten gesperrt und überwacht werden könnte.
Danke.